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Geschichte

Wie Poesie auf dem Parkett
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von Manuela Junghölter

Tanzen ist eine der ältesten Kulturtechniken der Welt und nimmt seit Jahrtausenden einen herausragenden Stellenwert im gesellschaftlichen Gefüge fast jeder Kultur ein. Ob allein, in Gruppen oder zu zweit, ob mit Musik oder ohne, ob zu einem besonderen Anlass oder einfach nur aus purer Lebensfreude, Tanzen „dient der körperlichen Ertüchtigung, fördert Muskelaufbau, Motorik, Koordination und  Gleichgewichtssinn. Das erfolgreiche Lernen, Planen und  Umsetzen komplexer Bewegungsabläufe bildet Selbstvertrauen“, so die allgemeine Definition. Tanzen ist aber auch Treffen in geselliger Runde Gleichgesinnter, Freude an Musik und Bewegung, sportliche Betätigung und geistige Forderung. Es sind keine besonderen Vorkenntnisse oder Voraussetzungen nötig. Füße und Beine hat in der Regel jeder Interessierte als unverzichtbare Sportgeräte immer dabei, wahlweise auch einen Tanzpartner und entsprechendes Schuhwerk sorgt für elegantes Gleiten über das Parkett.

Rituelle Tänze und Volkstänze bildeten die Grundlage für den Gesellschaftstanz, der sich  als Teil des höfischen Zeremoniells an den europäischen Adelshöfen in der Renaissancezeit entwickelte. Tanz und standesgemäße Umgangsformen gehörten immer zusammen. Während sich der Adel festangestellte Tanzmeister, so die alte Bezeichnung, leisten konnte, die für die Organisation großer Feste, Bälle und Zeremonien zuständig waren, besuchten reisende Tanzlehrer in regelmäßigen Abständen die weniger betuchten Höfe und das Bürgertum.  Mit der Einführung des Menuetts am Hofe des französischen Königs Ludwig XIV. wurde erstmals im ¾ Takt getanzt, zwar noch nicht in Tanzhaltung, wohl aber mit kurzzeitiger Berührung der Hände und einem Wechsel von Nähe und Distanz. Diese Art szenischer Darstellung des höfischen Liebesspiels verbreitete sich über ganz Europa und animierte auch bürgerliche Kreise dazu, Bälle auszurichten, Ballkönigin und Ballkönig für den Abend zu bestimmen und das höfische Gebaren zu imitieren. Vor der französischen Revolution galt allgemein der Walzer als anrüchig, ließ er doch Körperkontakt und einen unschicklichen Blick auf den Damenknöchel zu.  Erst  mit dem Wiener Kongress 1814/15 wurde der Walzer gesellschaftsfähig. Noch heute erinnert der Wiener Walzer an diese Zeit.

Tanzen ist aber auch Ausdruck politischer, sozialer und gesellschaftlicher Umbrüche. Nach Ende des ersten Weltkrieges schienen die Menschen wie entfesselt nach Zerstreuung und Amusement zu suchen. Nicht nur die Befreiung von den gesellschaftlichen Konventionen der Kaiserzeit, sondern auch vom engen Korsett in der Mode sorgte für ein neues Selbstbewusstsein vor allem bei den Frauen. Haare und Kleider wurden kürzer. Die neuen Modetänze der Zwanzigerjahre, wie Charleston, Black Bottom oder Shimmy forderten Beinfreiheit. Auch in Kiel schossen Tanzsäle und Etablissements aus dem Boden. Tanzen wurde zum Volkssport und die Tanzkapellen passten sich an den Geschmack des Publikums an, die nach den Überseerhythmen verlangten. Wer aktiv sein wollte, hatte in Kiel im Faun-Saal, Monopol, Wintergarten, Schlosscafé, der Waldwiese, Forstbaumschule oder der Tonhalle im Sophienblatt ausreichend Gelegenheit. Schon 1927 veranstaltete der Wintergarten ein großes, prominent besetztes Tanzturnier um die Schleswig-Holsteinische Meisterschaft.

Der wohl bekannteste Modetanz ab 1925/26 war der Charleston, ein Tanz, der in den Südstaaten Amerikas entwickelt wurde und auf afroamerikanische Ursprünge zurückzuführen ist. Josephine Baker brachte den Charleston ab 1925 in ihrer Revue „Negre“ nach Europa, der hier die Tanzsäle der Zwanzigerjahre eroberte. Wer ihn nicht beherrschte, galt als nicht gesellschaftsfähig.

Bleibt die Frage, wo man all die neuen Tänze in Kiel erlernen konnte, denn nicht jeder war ein Naturtalent. In der Presse jener Zeit finden sich kleinere Anzeigen von Privatschulen für Gesellschafts- und Kunsttanz. Die Tanzschule Rusch in der Dänischen Straße warb 1926 mit Kursen für Damen 12 Mark, für Herren 14 Mark, Charleston und Shimmy inbegriffen. Tanzlehrer A. Beckmann bot Einzelkurse im Parterre des Hauses Lerchenstraße 15 an und die Tanzschule des bekannteste Tanzlehrer Kiels Christian Brandenburg befand sich im Brunswiker Hof.

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Der Beruf des Tanzlehrers war nicht geschützt und so konnte jeder, der sich berufen fühlte Tanzunterricht geben. Die Tanzlehrerschaft litt lange an der Voreingenommenheit des Publikums, die sich erst mit der Gründung des „Allgemeinen Deutschen Tanzlehrerverbandes e.V.“ 1922 legte. Das Ziel des in Halle/Saale gegründeten Verbandes war die wirtschaftliche und künstlerische Interessenwahrung aller Berufskollegen, die einheitliche Durchführung des modernen Gesellschaftstanzes und damit die Anerkennung des Tanzunterrichtes als Kulturaufgabe. Gleichzeitig wurde die Fachausbildung von Tanzlehrern mit Prüfungszwang vor einer Fachkommission eingeführt und das Abhalten von Übungstagen als Fortbildungsmaßnahme angestrebt zur „Hebung und Förderung der Tanzkunst und des Anstandsunterrichts.“ Die Tanzschulen, die in den Zwanzigerjahren dem Trend der Zeit nachspürend Kurse für moderne Tänze anboten, sind aus dem Kieler Stadtbild verschwunden. Einzig die Tanzschule Gemind, die sich nach den Anfängen in Lübeck erst 1932 in Kiel etablierte, existiert noch heute in der Holtenauer Straße 75 und ist damit die älteste praktizierende Tanzschule in Kiel.

Der Beginn der Firmengeschichte geht zurück auf das Jahr 1898, als der spätere Firmengründer Philipp Gemind  seinen ersten Schlussball in Hamburg organisierte. Die Karriere als Tanzlehrer war aber keineswegs geplant, ihn führte zunächst das angestrebte Studium der Architektur von Ludwigshafen nach Hamburg. Gleichzeitig nahm er Tanz-und Ballettstunden am Hamburger Theater und fand so viel Freude am Tanzen, dass er sich von dem bekannten Ballettmeister Knoll zum Tanzlehrer ausbilden ließ und er schließlich dabei blieb. Die Tanzkurse, die Philipp Gemind  um Hamburg herum, in Ahrensburg, Bad Oldesloe, Reinbek und Grevesmühlen als „fahrender“ Tanzlehrer anbot, erfreuten sich großer Beliebtheit. Seine hohe Musikalität sorgte dafür, dass er auf einen Pianisten verzichten konnte. Stattdessen spielte er selbst Bandoneon und zwar alle Melodien aus dem Kopf. 1904 kam es auf einer Hochzeit zur Begegnung mit Martha Richards. Es war Liebe auf den ersten Blick und die Hochzeit folgte noch im selben Jahr. Das Paar ließ sich in Lübeck nieder und übernahm die Tanzschule „Schüler“, die in der Novelle „Tonio Kröger“ von Thomas Mann beschrieben wurde.  1908 kam Sohn Karl-Heinz auf die Welt, ein Jahr später Tochter Ingeborg.  Auch Karl-Heinz  trat in die Fußstapfen seines Vaters, wurde Tanzlehrer und lernte seine spätere Frau bei einer privaten Tanzstunde in Travemünde kennen. Die gebürtige Schweizerin Bergie Jenny machte gerade zusammen mit Freundinnen  Urlaub an der Ostsee. 1932 wurde geheiratet, das Paar zog nach Kiel und eröffnete  am 1.9. desselben Jahres eine eigene Tanzschule als Dependance des Lübecker Mutterhauses zunächst in der Holtenauer Straße 59, zwei Jahre später in der heute bekannten Villa in der Holtenauer Straße 75. In der Werbeanzeige aus dieser Zeit heißt es: „ Unser Name gewährleistet gründlichen fachmännischen Unterricht in vornehmem Gesellschaftstanz und in Gesellschaftslehre.“ Die Lübecker Tanzschule wurde bei einem Bombenangriff 1942 vollständig zerstört. Der allseits geschätzte Tanzlehrer Philipp Gemind fand dabei den Tod.

Tänzerisch vollzog sich zu der Zeit gerade ein Wandel. Mit der aufkommenden Nazizeit war es vorbei mit den wilden Rhythmen, den ausschweifenden Bewegungen und der afroamerikanischen Musik der Zwanzigerjahre, die man als dekadent und undeutsch betrachtete. Tanzdielen galten als Brutstätte der Tanz-Unkultur. Die Befreiung von fremden Einflüssen und die Rückbesinnung auf traditionelle deutsche Tänze war das Ziel der Gleichschaltung auch der Tanzschulen. Alle Arten von Volkstänzen, Marschtänze, Polka, Rheinländer und alte Gruppentänze wie Quadrille sollten ein Millionenvolk tänzerisch zum Gleichschritt bringen. Die Tanzschulen konnten sich dem zwar nicht entziehen, peppten aber die alten Tänze mit modernen Elementen auf. Nach dem Krieg stellte sich schnell heraus, wie sehr Deutschland von den internationalen Tanzentwicklungen abgekoppelt war. Der Nachholbedarf war groß.

Die Villa der Tanzschule Gemind hatte den Krieg einigermaßen unbeschadet überstanden, stellte den einzigen großen Saal für Gottesdienste zur Verfügung  und bekam Einquartierung durch Flüchtlinge, die die Zimmer unterm Dach zur Wurstherstellung nutzten. Da das Kieler Opernhaus und das Schauspielhaus stark zerstört waren, wurde dem Ballettensemble unter der Leitung der Ballettmeisterin Frau Elster im Rosensaal Asyl gewährt und Ballettstangen und Spiegel angebracht. Sie sind heute noch für den Ballettunterricht unverzichtbar.

Trotz der Enge konnte die Familie Gemind mit inzwischen vier Kindern im bescheidenen Maße bald wieder Kurse anbieten. Die Schüler wurden aber schon mal dazu aufgefordert, Kerzenreste mitzubringen, die im Keller eingeschmolzen wurden, und die das nicht verfügbare Wachs ersetzen sollten, zum Schutz des Parketts. Die immer wieder einsetzenden Stromausfälle wurden mit Karbidlampen überbrückt. Der Besuch der Tanzkurse bei Gemind war für viele eine Möglichkeit, der Sorge und Nöte der Nachkriegszeit zu entfliehen und um ein wenig Normalität zu erleben. Ganze Aktenordner sind gefüllt mit Dankesschreiben aus dieser Zeit, oftmals in Reim-Form und zum Teil liebevoll handillustriert. Sogar nachts um 2 Uhr war es einer Teilnehmerin des gerade beendeten Abschlussballes ein Bedürfnis, einen Dankesbrief zu schreiben. „Gerade als Flüchtling muss man den Rahmen sehen. Ich war glücklich, dass die Kinder wieder eine Möglichkeit finden, von Herzen vergnügt zu sein.“

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Und auch die nächste Generation stand schon mit Axel, Ingeborg, Barbara und Dorothee in den Startlöchern und absolvierte nacheinander ihre Ausbildung. Der älteste Sohn Axel lernte in der renommierten Tanzschule Krebs in Nürnberg und holte seine Schwester Ingeborg kurzfristig nach. Auch sie begann die damals noch einjährige Lehre, die selbst bezahlt werden musste, lernte Figuren in allen Tänzen und die Bezeichnung für jeden Schritt, hatte vormittags Unterricht und abends praktische Anwendung beim Vortanzen des Gelernten in den Kursen. Ihre Prüfung  bestand sie mit „sehr gut“, kehrte nach Kiel zurück und stieg, wie ihre Geschwister später auch, in die Tanzschule mit ein. Für ihre ursprüngliche Idee, Gärtnerin zu werden, hatte sie jetzt keine Zeit mehr, es blieb ein Hobby.

In den Fünfzigerjahren waren der Bedarf an Tanzkursen und das Interesse des Publikums an neuen Tänzen groß. Die Tanzschule Gemind war ein Familienbetrieb, jeder hatte seine Aufgabe, sprang ein, wo es nötig war und beherrschte das gesamte Tanzrepertoire. Jede Hand und jeder Fuß wurde gebraucht. Der Rosensaal in der Villa war längst zu klein geworden und für die gut besuchten Studentenkurse bot sich die Uni-Mensa an. Der Bau des goldenen Saales im ehemaligen Obstgarten war aber unerlässlich. 1959 wurde Kiels größter Tanzsaal mit einem Familienfest, der Hochzeit von Ingeborg, eingeweiht. Noch heute suchen dessen Dimensionen ihresgleichen, die auch das Ausrichten internationaler Tanzturniere möglich machten. Golden ist der Saal immer noch, die großen antiken Spiegel vermitteln Tradition und Gediegenheit und die bodentiefe Fensterfront lässt einen Blick auf den Garten frei.

Neben den üblichen Standard- und Lateintänzen  kamen auch neue Tänze auf wie Mambo und  Bossa Nova auf, die gelehrt wurden. Auch der neuen Musik aus Amerika wurde Rechnung getragen. Twist und Rock `n Roll kamen vor allem beim jungen Publikum gut an, waren aber wegen der ausschweifenden Bewegungen nicht überall tanzsaaltauglich. Die Tanzschule versuchte sich auch an die Bedürfnisse der Tanzbegeisterten anzupassen. Da es nicht überall auf dem Land Tanzschulen gab, das Interesse aber groß und der Weg nach Kiel oft weit, kamen die Tanzlehrer zu ihren Schülern ins Dorf. Überall, wo es gewünscht war und ein großer Raum zu Verfügung stand wurden Kurse abgehalten. Samstags fanden Sonderkurse extra für Lehrlinge statt, die in der Woche selten Zeit hatten. Auf Wunsch der Marine gab es in der Tanzschule spezielle Fähnrich-Kurse, um die jungen Rekruten parkett-und gesellschaftsfest zu machen.

Die Tanzschule war auch ein Ort für Anstand und Benimm. Man lernte dort nicht nur, wie man sich sicher auf dem Parkett bewegt, sondern auch Anstandsregeln und die Kunst der Konversation. So war es für viele Teenager nach der Konfirmation ein Muss, die Tanzschule zu besuchen. Ganze Schulklassen meldeten sich geschlossen zum Unterricht an, um die richtige Verbeugung und  das Auffordern zu lernen oder wie man eine Dame nach dem Tanz an den Tisch führt. Höhepunkt für alle war immer der große Abtanzball, die Mädchen bekamen ihr erstes Abendkleid, die Herren sahen in ihrem Anzug sehr erwachsen aus. Jetzt konnten die Tanzschüler all ihr Erlerntes zur Anwendung bringen. Das war damals nicht anders als heute. Die Tanzschule war und ist eine Schule fürs Leben.

In den Sechzigerjahren wagte sich die Familie Gemind auch auf das internationale Turnierparkett. Ingeborg gewann mit ihrem Vater Karl-Heinz, der von den Schülern liebevoll „Charly“ genannt wurde, bereits 1957 die deutsche Tanzmeisterschaft. Jetzt wurden Axel und Dorothee  von dem in England lebenden Weltmeisterpaar Bill und Bobby Irvine, die zwischen 1960 und 1968 mit 13 Weltmeistertiteln die Standard und Lateinturniere dominierten, trainiert. Trotz des engen Zeitplans der Profi-Tänzer, kamen sie gerne nach Kiel und bereicherten die Bälle mit Showtanzeinlagen. Das Training mit den Weltmeistern zeigte Wirkung, die Geschwister Gemind waren bei vielen Turnieren ganz vorne mit dabei.

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In der Tanzschule wurde das vom Tanzlehrerverband ständig weiter entwickelte Welttanzprogramm gelehrt, die Möglichkeit für Medaillenprüfungen geschaffen und die zeitlich begrenzten Kurse auf dauerhafte wöchentlich angebotene Tanzkreise ausgeweitet. Ebenso bekam das Tanzen als Breitensport bei Gemind ein Zuhause. Viele Paare nutzten den goldenen Saal zur Vorbereitung auf die Amateur-Turniere und das mit großem Erfolg.  Der Verband nahm aber auch immer neue Anregungen aus der Musik-und Tanzszene auf, ersann neue Partytänze und bestimmte den Tanz des Jahres. Casatschok und Letkis sind wohl die bekanntesten in jener Zeit, aber auch Sirtaki, Monkey, Puppets, Soft-Beat, Boogaloo, Madison und Snap wurden in Sonderkursen angeboten. Wohl dem, der sich all die Schritte merken konnte.

In den Siebzigerjahren bekamen die Kieler Tanzschulen als Treffpunkt für die Jugend  noch einmal viel Arbeit, denn die geburtenstarken Jahrgänge drängten aufs Parkett, angeregt durch den Film Saturday Night Fever  und den schmissigen Songs der BeeGees. Jeder wollte Disco Fox so gut können wie John Travolta alias Tony Manero in New York. Im goldenen Saal bei Gemind herrschte in jedem Kurs drangvolle Enge. Um überhaupt eine Ordnung reinzubringen, mussten sich die Damen in den inneren Kreis, die Herren in den äußeren stellen, und so lange gegenläufig weitergehen, bis die Musik stoppte. Derjenige, der vor einem stand, war dann der Tanzpartner für den Abend. Legendär war auch die am Samstagabend stattfindende Disco, der Saal proppenvoll, die Luft zum Schneiden und die sich drehende Glitzerkugel  tauchte alles in ein schummeriges Licht. Musikwünsche wurden gerne erfüllt und beim Bingo ging kaum jemand ohne Preis nach Hause. Der Partytanz Chicago City nach der Musik von Miriam Makeba gehört bis heute zum Programm. Zehn Jahre später 1987 inspirierte wieder ein Film die Tanzwelt. Einmal wie Johnny und „Baby“ im Mambo-Schritt übers Parkett, inklusive Hebefigur, das wäre was. In den Achtziger-und Neunzigerjahre waren es Lambada und Macarena, die partytauglich waren. Breakdance, HipHop, Videoclip Dancing gibt es in Sonderkursen, für Tango Argentino und Salsa sogar inzwischen eigene Schulen.

Heute leitet mit Sabrina Gemind-Graßhoff die vierte Generation das Traditionshaus in der Holtenauer Straße, eine Aufgabe, die ihr durchaus Respekt einflößt, die sie aber auch gerne annimmt. Angesichts der bald 90 Jahre (2022), die die Tanzschule durch alle Höhen und Tiefen gegangen ist, und der vielen Tausend Schüler, die hier ihren gesellschaftlichen Schliff bekommen haben und die der Tanzschule zum Teil bis heute verbunden geblieben sind, kommt ihr ein Goethe-Zitat in den Sinn.“ Was Du ererbt von Deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen…“ Für sie ist es Auftrag und Ansporn zugleich, die Tanzschule in die Zukunft zu führen. Zusammen mit ihrem Team hat sie das angebotene Programm über die regulären Tanzkurse hinaus mit der tänzerischen Früherziehung für Kinder ab eineinhalb Jahren und dem Tanzkonzept MoBaDa (Move, Balance und Dance), bei dem sogar noch eine 90jährige Teilnehmerin dabei ist, erweitert. Klassiker wie Medaillenkurse, Kurse zur  Vorbereitungen auf die Hochzeits-und Ballsaison, Tanzkreise auch für Singles, Step, Zumba, Salsa, Disco Fox (u.v.m. siehe Programm) sprechen nach wie vor ein breit gefächertes Publikum an. Mit dem Angebot des Tanzjahres für Jugendliche wird die Tanzschule in Kooperation mit dem Hotel Birke (Fit bei Tisch) auch ihrem Auftrag zur Vermittlung der „Gesellschaftslehre“, wie es früher hieß, gerecht. Die Entwicklung, die die Jugendlichen innerhalb dieser Zeit nehmen und das Selbstbewusstsein, das sie daraus ziehen, sind immer wieder erstaunlich. Sabrina Gemind-Graßhoff mag den Umgang mit den Menschen, die Freude an Bewegung haben, egal ob groß oder klein. Und es freut sie besonders, wenn sie die Kursteilnehmer motivieren kann, sich Neues zu erarbeiten und beschwingt nach Hause gehen. Sie sieht die Tanzschule der Zukunft als einen Ort der erweiterten Freizeitgestaltung, bei der die Tanzkurse ein Teil sein werden. Und die Tanzschule sollte noch präsenter sein, sich noch mehr öffnen und mit Schulen und Kindergärten kooperieren. Sie möchte Neues ausprobieren, die Lerninhalte individueller und flexibler gestalten, noch mehr auf Wünsche eingehen. Bei aller Praxistauglichkeit und Anpassung an den Zeitgeschmack, um die korrekte Fußarbeit wird auch in Zukunft kein Schüler herumkommen.

Da hat auch die Senior-Chefin Ingeborg Gemind-Trautmann ein Auge drauf, die immer noch im Haus präsent ist und mit Rat und Tat zur Seite steht, auch wenn sie keine Kurse mehr gibt. Auf ihr Wissen und ihre Erfahrung kann man nicht verzichten. Sie initiiert seit bald 20 Jahren den  jährlichen Spendenaufruf zugunsten eines guten Zwecks und setzt damit eine lange Tradition des Hauses fort. Grundlage dafür sind der Verkauf der Schrittfolge-Zettel, als Hilfestellung für Zuhause, der selbstgestrickten Socken, des selbstgemachten beliebten Hollunderblütengelees und natürlich die vielen großzügigen Einzelspenden. Die Spendenaktion in diesem Jahr wird dem Kieler Netzwerk gegen Kinderarmut zugutekommen.

Damals wie heute gehört der Besuch der Tanzstunde zur Ausbildung junger Menschen. Heute kommen Eltern mit ihren Kindern und Großeltern mit ihren Enkeln zu den Abschlussbällen und alle können Geschichte erzählen, wie es damals war. Es zeigt, Tanzen geht in jedem Alter. Und wenn dann ein Ehepaar anlässlich seiner goldenen Hochzeit den berühmten Saal der Tanzschule Gemind nur für sich alleine hat, sich bei einem Gläschen Sekt an das erste Kennenlernen dort erinnert und zu den alten Melodien durch den Raum schwebt, dann ist das wie Poesie auf dem Parkett.

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